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DEUTSCHBAUER Die Geschichte des österreichischen Films entspricht einem langen Märtyrerkatalog.
SPRING Von A bis Antel.
DEUTSCHBAUER Über Antelfilme wird heute viel und gern gespottet.
SPRING Mit der Eröffnung des österreichischen Films in der Kunsthalle Basel plädieren wir für eine differenziertere Sichtweise.
DEUTSCHBAUER Wir haben nicht die Absicht, hier eine auf fachmännischen Kenntnissen beruhende Theorie vorzutragen. Es geht uns lediglich darum, ganz flüchtig eine Idee zu skizzieren.
SPRING Es handelt sich nur um einige Bemerkungen, die sich einem aufdrängen, wenn man sich das österreichische Kino von heute ansieht.
DEUTSCHBAUER Oder wenn man beobachtet, wie heute versucht wird, den österreichischen Film zu erneuern.
SPRING Und zwar auf der Grundlage sehr geringer Kenntnisse davon, was der Film früher einmal war.
DEUTSCHBAUER Ganze Generationen von ÖsterreicherInnen sind mit Antel aufgewachsen.
SPRING Vor 68 und nach 68.
DEUTSCHBAUER Gewisse Züge der 68er-Bewegung sind bei Antel nicht zu übersehen.
SPRING Gehört das zu einem Zeitgeist, den wir überwunden haben?
DEUTSCHBAUER Was den Zeitgeist betrifft, hätte sich Österreich auch Hollywood anpassen können, gegen dessen massive kommerzielle Macht unser kleiner Filmmarkt ohnehin wehrlos erscheint.
SPRING Österreich war und ist ein Filmland. Wenn die Österreicherinnen die Wahl hätten, gäbe es zwei, drei, viele Antels.
DEUTSCHBAUER Damit wir uns richtig verstehen: wir meinen damit österreichische Regisseure und Drehbuchautoren, die den Finger am Puls der Zeit haben, die den Geschmack des Publikums genauso gut bedienen wie manche Millionenproduktion aus Hollywood – und die das in Österreich tun.
SPRING Produzenten, Regisseure und Drehbuchautoren, die österreichische Stoffe mit heimischen Schauspielern und Kameraleuten drehen, die hierzulande Erfolg haben und denen es vielleicht sogar gelingt, das internationale Ghetto des »Art-House-Corners« zu verlassen.
DEUTSCHBAUER In seinem ungeheuren Werk hat uns Franz Antel vorgeführt, daß wir in Österreich über einen ungeheuren Schatz an Kreativität verfügen.
SPRING Dieser Schatz wartet nur darauf, daß er von jemandem gehoben wird.
DEUTSCHBAUER Sehr geehrte Damen und Herren! Wir leben in einer Zeit der Programmhaftigkeit.
SPRING Der österreichische Film durchläuft gegenwärtig einerseits eine Phase eines unersättlichen Hungers nach Form, andererseits verharrt er,
DEUTSCHBAUER abgesehen von gewissen Merkwürdigkeiten bei einigen FilmemacherInnen,
SPRING bei einem verstärkten Realismus.
DEUTSCHBAUER Zugleich müssen wir in allgemeinsten Umrissen die allerdings sehr zweifelhafte Möglichkeit andeuten, daß der österreichische Film erneuert werden könnte.
SPRING Nicht durch eine neue Interpretation bereits bestehender Werke, sondern durch einen völlig neuen Typ von Werken. Man kann sich einen solchen neuen österreichischen Film vorstellen,
DEUTSCHBAUER bei dem aus österreichischer Sicht absolut alles total beliebig ist,
SPRING während die Handlungsverknüpfungen überaus exakt und ausgefeilt sind.
DEUTSCHBAUER So wie die Konstrukion des Österreichischen für uns eine Art abstraktes Doping ist.
SPRING Ein Doping, um die ganze künstlerische Maschinerie in Schwingung zu versetzen.
DEUTSCHBAUER Behaupten wir.
SPRING In den meisten österreichischen Filmen wird einem zuerst einmal erklärt, wie sich alles verhält.
DEUTSCHBAUER Dann beginnt es sich zu verwirren.
SPRING Es kommt zum Höhepunkt.
DEUTSCHBAUER Dann – bumm!! Ein entsetzlicher Krach.
SPRING Und alles ist zu Ende.
DEUTSCHBAUER Obendrein muß der Zuschauer ständig beschäftigt werden.
SPRING Ständig ist irgend ein Streit auf der Leinwand.
DEUTSCHBAUER Das ist das ganze Menü des zeitgenössischen österreichischen Films.
SPRING Bloß eine gewisse Variation von österreichischen Mythen, die alle kennen.
DEUTSCHBAUER Geeignet vielleicht zum Unterricht in der Oberstufe eines Realgymnasiums.
SPRING So werden dem Zuschauer regelrecht ausgeweidete Inhalte sogenannter österreichicher Identität vorgesetzt.
DEUTSCHBAUER Die Grenze der Identität der österreichischen Seele mit sich selbst können wir nicht überschreiten.
SPRING In cineastischen Eindrücken, Dekorationen und Bewegungen.
DEUTSCHBAUER Einer der wenigen, die mit solchen Inhalten geschickt ihr Spiel treiben, ist Franz Antel.
SPRING Denken Sie nur daran, daß Antel seit 1935 hunderte Filme geschaffen hat.
DEUTSCHBAUER Darunter – um nur ein einziges Thema herauszugreifen – »Kleiner Schwindel am Wolfgangsee«,
SPRING »00Sex am Wolfgangsee«,
DEUTSCHBAUER »Außer Rand und Band am Wolfgangsee«.
SPRING »Behinderung am Wolfgangsee«,
DEUTSCHBAUER »Wochenklausur am Wolfgangsee«,
SPRING Hollywood am Wolfgangsee?
DEUTSCHBAUER Nein, meine Damen und Herren. In Österreich muß ein ganz anderes, neues Hollywood entstehen. Alle österreichischen Mythen werden sich von hier aus in die ganze Welt verbreiten.
SPRING Die Wirtin von der Lahn statt Pocahontas.
DEUTSCHBAUER Der Klagenfurter Lindwurm statt Jurassic Park.
SPRING Österreich überläßt diese Forschungen nicht weiterhin Amerika. Mit vielen Mythen und Märchen, die hier gemacht wurden, revolutioniert Antel die Zukunft des Films. Antels Filme helfen mit, österreichische Mythen zu Standards und diese Standards dann auch massenfähig und damit kommerziell nutzbar zu machen.
DEUTSCHBAUER Ziel der österreichischen Filmpolitik ist es, die öffentlichen Mittel mit privaten Geldern aufzustocken, was auch mehr Internationalität bedingen kann, was wiederum gut für die Schauspieler und die Filmschaffenden ist.
SPRING Man darf aber nicht vergessen, daß Geld allein noch nicht der Film ist, denn wie Franz Antel einmal gesagt hat, komme es beim Film auf drei Dinge an: die Familie, die Familie und die Familie.
DEUTSCHBAUER Jeder, der bei einem AntelFilm mitmacht, wird Mitglied der Antel-Familie. Ob Kabelträgerin oder Hauptdarsteller, alle wohnen unter einem Dach.
SPRING Nach Drehschluß unternimmt die Antel-Familie immer etwas gemeinsam.
DEUTSCHBAUER Bald kocht sie zuhause und schaut fern, bald geht sie ins Kino.
SPRING Das ist ein großer Schritt Richtung Demokratie. Denn eine Familie hat keinen Besitzer, sie gehört jedem Mitglied. Und die Identität jedes Mitglieds bestimmt sich aus der jedes anderen. Es gibt keinen Vater ohne Mutter, keine Mutter ohne Kind, kein Kleinkind ohne Großeltern.
DEUTSCHBAUER Identität kann nur über originär österreichische Produktionen vermittelt werden – mit österreichischen Themen, österreichischem Idiom, unter Mitwirkung des international anerkannten Potentials an heimischer Kreativität.
SPRING Mit Stolz blickt Österreich auf große künstlerische, aber auch wirtschaftliche Erfolge. Dreimal hat Antel die »Goldene Leinwand« in der Bundesrepublik Deutschland erhalten.
DEUTSCHBAUER 2 mal den »Romy«,
SPRING einmal den »Sascha Kolowrat Pokal« in Österreich.
DEUTSCHBAUER 1982: Oscar-Nominierung mit dem Film »Der Bockerer«
SPRING 1983: Verleihung des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um das Land Wien.
DEUTSCHBAUER 1988: Verleihung des Professorentitels.
SPRING Die Filmschaffenden können sich nicht mehr des Eindrucks erwehren, daß der österreichische Film auch in Zukunft ein Kindeskind Antels bleiben wird.
DEUTSCHBAUER Dieser Umstand ist branchenimmanent!
SPRING Bei Veranstaltungen von Herrn Professor Franz Antel trifft man stets viele bekannte und einflußreiche Persönlichkeiten.
DEUTSCHBAUER Es war 1956, als sich folgende Geschichte zutrug. Bei einer Fußballveranstaltung im berühmten Prater-Stadion spielte Antels Prominentenmannschaft gegen die Profimannschaft Vienna 0:0.
SPRING Wie das?
DEUTSCHBAUER Antel stand im Tor,
SPRING Aha!
DEUTSCHBAUER ein paar Meter vor dem Tor aber standen die Schuhe von Dagmar Koller.
SPRING Antel mit Koller im Tor?
DEUTSCHBAUER Eben nicht. Antel hat dieses Paar Damenschuhe selbst vor dem Tor deponiert, in dem er sich ganz allein schlafen gelegt hat.
SPRING Ein genialer Bildtrick.
DEUTSCHBAUER Nach dem Spiel kam Dagmar Koller barfüßig von der Tribüne gelaufen, um sich von Antel ihre Schuhe wieder anziehen zu lassen.
SPRING Unser »Frantel« – der Frauenfreund. Ein weiterer österreichischer Mythos, den Antels Filme in der ganzen Welt verbreiten.
DEUTSCHBAUER Die negative Kritik dieses Mythos als »seichte und billige Unterhaltungsware« übersieht geflissentlich, daß Österreich Filmgeschichte nicht nur macht, sondern auch lebt.
SPRING Die Zukunft des österreichischen Films kann nur darin liegen.
DEUTSCHBAUER Über den Ablauf des Alltags
SPRING und sogar des Feiertags
DEUTSCHBAUER verteilt und verdünnt. Die Aufgabe würde darauf hinauslaufen, einige Stunden mit einem Geschehen auf der Leinwand auszufüllen, das eine innere, formale Logik besäße, die von allem Lebenspraktischen unabhängig wäre.
SPRING Ein erdachtes,
DEUTSCHBAUER aber nicht ausgeführtes,
SPRING Beispiel eines solchen österreichischen Films kann unsere Theorie nur der Lächerlichkeit preisgeben.
DEUTSCHBAUER Eine Theorie, die aus einer bestimmten Sicht ohnehin lächerlich ist,
SPRING für einige vielleicht sogar anstößig
DEUTSCHBAUER beziehungsweise, sagen wir es offen, idiotisch.
SPRING Doch wir können es probieren.
DEUTSCHBAUER Nun denn.
SPRING Schon als 11jähriger machte Antel während eines Londonaufenthalts mit den Pfadfindern seine ersten Filmexperimente.
DEUTSCHBAUER Selbst der Krieg konnte seiner Berufung zum Film nichts anhaben.
SPRING Seine Filme lassen sich in vier Kategorien einteilen.
DEUTSCHBAUER Unterhaltungsfilm
SPRING und ernster Film.
DEUTSCHBAUER Heimatfilm
SPRING und Sexfilm.
DEUTSCHBAUER Der Unterhaltungsfilm ist auf Effekte des Lachens eingestellt und hat einen heiteren Spielausgang.
SPRING Während der ernste Film auf die Realität eingestellt ist und einen tragischen Ausgang hat.
DEUTSCHBAUER Der Heimatfilm erweckt mit dem Thema Heimat heimatliche Gefühle.
SPRING Während der Sexfilm mit mehr Sex eher die sexuellen Gefühle erregt.
DEUTSCHBAUER Hervorzuheben in diesem Zusammenhang ist Terry Torday, die Antel als »Wirtin« für seine »Wirtinnen-Filme« entdeckt hat.
SPRING Acht davon entstanden allein im Zeitraum von 1967 - 1971. »Suzanne – Die Wirtin von der Lahn«, 1967.
DEUTSCHBAUER »Frau Wirtin hat auch einen Grafen«, 1968.
SPRING »Frau Wirtin hat auch eine Nichte«, 1969.
DEUTSCHBAUER »Frau Wirtin treibt es jetzt noch toller« und »Frau Wirtin bläst auch gern Trompete«, 1970.
SPRING »Frau Wirtin hat auch einen Hirt«, »Frau Wirtin hat auch einen Schrank« und »Frau Wirtin hat auch einen Dienstmann«, 1971.
DEUTSCHBAUER Und so weiter.
SPRING Damit hat Antel den Grundstein zu einem der größten Projekte der Filmgeschichte gelegt.
DEUTSCHBAUER Bis 2013 – dem hundertsten Geburtstag des österreichischen Altmeisters – sollen alle 200 Strophen der »Wirtin von der Lahn« verfilmt sein.
SPRING Der gastfreundliche Eros – ein weiterer österreichischer Mythos, der in der ganzen Welt Verbreitung findet.
DEUTSCHBAUER Damit liegt Österreich ganz deutlich vor Deutschland und der Schweiz.
SPRING »Die Wirtin von der Lahn« setzen wir als bekannt voraus.
DEUTSCHBAUER Durch die Popularisierung durch Antel hat dieses alte Volkslied den Rang eines österreichischen Mythos errreicht, an dessen Fortschreibung sich Künstler bis heute beteiligen.
SPRING Jede Strophe dieses Volksliedes zeigt die Wirtin im Zusammenhang mit anderen Dingen, sie wird von Mal zu Mal mit einem anderem Attribut versehen und erscheint damit in einem anderen Licht. »Frau Wirtin« hat selbstverständlich ein Wirtshaus, aber auch einen Mann, eine Base, ein Fahrrad u.s.w.
DEUTSCHBAUER Die Wirtin scheint von Strophe zu Strophe eine andere zu werden.
SPRING Und doch gibt es etwas, das sich in einer einzigartigen Weise wiederholt.
DEUTSCHBAUER Es ist die Melodie und der Reim, genauer gesagt, eine besondere Art von Reim, ein melodischer Reim bzw. eine Reimmelodie, kurz: der »Wirtinnen-Reim«.
SPRING Antels ursprüngliche Frage war daher: Was entspricht im »Wirtinnen-Film« dem typischen »Wirtinnen-Reim«?
DEUTSCHBAUER Es ist die Pose, genauer gesagt, die »Wirtinnen-Pose«, in der uns Terry Torday für immer in Erinnerung bleiben wird.
SPRING Meine Damen und Herren, wir leben in einer sehr bewegten Zeit. Der Film lebt aber nicht nur von Bewegung, sondern auch von Posen. Was die Bewegung mit sich reißt, schenkt uns die Pose in einzigartiger Form zurück – wenn auch nur für einen Augenblick.
DEUTSCHBAUER Schon in den ersten »Wirtinnen-Filmen« entwickelt Antel ein vollständiges Schema der Pose.
SPRING In »Frau Wirtin hat auch einen Grafen« herrscht das pathetische Moment der Posen vor. Antel sucht die Höhepunkte der Bewirtung aus, er treibt die Bestellungen zu ihrem Höhepunkt, er läßt die Wirtin und den Grafen miteinander kollidieren.
DEUTSCHBAUER Ein Bein auf der Erde, dann zwei und drei, dann vier Beine und noch eines.
SPRING Diese Augenblicke, meine Damen und Herren, haben mit Bewegung nichts mehr zu tun, ja, sie wären als Bewegung schlechterdings unmöglich.
DEUTSCHBAUER Antel hat der filmischen Bewegung ein neues Modell gegeben, ein Modell in Abhängigkeit von Posen, während andere Formen der Kunst, Tanz, Ballett und Pantomime die Figuren und Posen aufgegeben haben, um das Nicht-Gestellte freizusetzen, das die Bewegung auf den beliebigen Moment bezieht.
SPRING Die Pose umfaßt alles, was im Bild vorhanden ist: Kulissen, Personen, Requisiten. Dementsprechene gestaltet Antel die Pose bald mit einer sehr großen, bald mit einer sehr beschränkten Menge von Bildelementen. Das Bildfeld der Pose ist also nicht zu trennen von zwei Tendenzen: seiner Sättigung und Verknappung.
DEUTSCHBAUER In »Frau Wirtin hat auch eine Nichte« wird die Pose dementsprechend ganz von der Dialektik zwischen Sättigung und Verknappung beherrscht.

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»Frau Wirtin hat auch zwei Spießgesellen«
(Franz Antel, 2001)

SPRING Bald posiert die Nichte im Vordergrund, während die Wirtin die Hauptfigur im Hintergrund macht, bald ist es umgekehrt.
DEUTSCHBAUER Bald sind Wirtin und Nichte, Vorder- und Hintergrund, Haupt- und Nebenfigur nicht mehr zu unterscheiden. Sie bilden eine zusammengesetzte Pose, die zugleich völlig aufgelöst erscheint.
SPRING Der Umschlag einer überfüllten zu einer gegenstandsarmen Pose erreicht ein Höchstmaß an Perfektion in der folgenden Szene. Die Wirtin serviert der Nichte ein Bier. In dem Moment, in dem sie es leicht gebückt und mit überhängendem Ausschnitt am Tisch vor ihrer Nichte absetzt, wird das Glas Bier von den Brüsten der Wirtin und der Nichte wie von innen erleuchtet. In diesem Licht schwappt das Glas schließlich über und das ganze Bild wird augenblicklich weiß, von Bierschaum überschwemmt.
DEUTSCHBAUER Im Übermaß gesättigt und zugleich auf die weiße Projektionsfläche reduziert – dieses Bild gilt mit Recht als die »Wirtinnen-Pose« schlechthin, eine der radikalsten Posen des Films überhaupt.
SPRING Erstaunlich präzise ist hier auch die filmische Umsetzung der entsprechenden Liedstrophe. Um sie kurz in Erinnerung zu rufen, heißt es da: »Frau Wirtin hat auch eine Nichte, / Die macht es mit dem Lichte.«
DEUTSCHBAUER Wie wir wissen, nimmt die Nichte den ganzen Leuchter zu sich.
SPRING Auch die Vase
DEUTSCHBAUER in Ekstase.
SPRING In »Frau Wirtin treibt es jetzt noch toller« erforscht Antel die Horizontalen und Vertikalen, die Symmetrien, das Oben und Unten. Selbst das Licht wird einer geometrischen Optik unterworfen.
DEUTSCHBAUER Die zwei Hälften der Wirtin,
SPRING die »Wirtinnen-Hälften«,
DEUTSCHBAUER Ober- und Unterkörper, erscheinen in Hell-Dunkel, während Tisch- und Leintücher in Hell-Dunkel-Schraffierungen arrangiert werden.
SPRING Die Wirtin erscheint in Diagonalen und Gegendiagonalen, Pyramiden- und Dreiecksfiguren, in denen sich die Leiber der Gäste zusammendrängen, aufeinanderstoßen und eine regelrechte Pflasterung des Bildfeldes bilden.
DEUTSCHBAUER Einmal wirft sich ein Gast auf die Wirtin, aber quer, so daß der Gast zwischen Scham und Brust irrtümlich eine Scheidelinie bildet, die den Körper der Wirtin präzise derart teilt, daß der Unterkörper der Wirtin zum ganzen Körper des Gastes sich gleich verhält wie ihr Oberkörper zum Unterkörper.
SPRING Sie schlafen im goldenen Schnitt.
DEUTSCHBAUER In »Frau Wirtin bläst auch gern Trompete« kommt noch eine ganz andere Dimension der »Wirtinnen-Pose« ans Licht, die dynamisch-physikalische Dimension.
SPRING Es handelt sich bei dem Instrument, das die Frau Wirtin bläst, nicht um eine musikalische, sondern um eine »visuelle Trompete«.
DEUTSCHBAUER Es handelt sich um ein Symbol der Naturkräfte überhaupt. Antel zeigt zunächst in einer extremen Nahaufnahme einen Körperteil der Wirtin, so nah, daß man an seinen Zuckungen sieht, wie er sich auflädt, dann öffnet er die Blende und man sieht in einem größeren Blickfeld, wie sich die Wirtin im Umfeld entlädt.
SPRING Antel untersucht damit die filmische Bedeutung des Off, des »Außerhalb des Bildfeldes«. Jedes Bildfeld kommuniziert mit einem »Außen«, jedem Bildfeld ist deshalb eine Tendenz nach Außen eingeschrieben, es enthält einen Druck- und Stoßmechanismus, der auf das Ganze, in die absolut geöffnete Blende treibt.
DEUTSCHBAUER Jede Pose, die ein Off einschließt, determiniert eine neue Öffnung, die von einem neuem Off begrenzt wird.
SPRING Die Serie der Öffnung ist unabschließbar. Wie die »Wirtinnen-Filme« zeigen, folgt jeder Entladung eine weitere, da die Öffnung der Szene, in der sie sich entlädt, selbst nur ein Teil einer weiteren Öffnung ist.
DEUTSCHBAUER Vorausgesetzt, jedes Bildfeld erzeugt ein neues »Außerhalb«, das seinerseits sichtbar werden kann und in dem es gestillt wird. Es ist der gastfreundliche Eros, meine Damen und Herren, der die Wirtinnen-Filme beflügelt.
SPRING Das Off, das die Wirtin sich einzuverleiben sucht, ist letztlich das Ganze des Films, nur ist dieses Ganze eben keine Gesamtheit und besitzt keine Teile. Es ist vielmehr das, was den Film daran hindert, sich abzuschließen, was ihn zwingt, in eine größere Gesamtheit überzugehen und mit dem Off der Welt zu kommunizieren, bis ins Unendliche.
DEUTSCHBAUER Alle weiteren »Wirtinnen-Filme« – es sind seit 1972 noch genau 192, von denen ein knappes Drittel noch auf die Realisierung wartet – führen das Schema der »Wirtinnen-Pose« aus, welches wir in seiner optischen, pragmatischen, geometrisch-mathematischen und physikalisch-dynamischen Dimension dargelegt haben.
SPRING Es wäre eine Dissertation von 900 Seiten wert, die Bewegung der Pose durch alle diese Filme zu verfolgen.
DEUTSCHBAUER Wir begnügen uns mit einer Auflistung der wichtigsten Bilder in Bezug auf die grundlegendsten »Wirtinnen-Reime«.
SPRING Frau Wirtin hat auch eine Bas, die trinkt aus einem Glas und singt wie eine Nachtigall vom Dach: »Komm lieber Mai und mach!«
DEUTSCHBAUER Frau Wirtin hat auch einen Burschenschafter, der hat ein Mordsgeschwür am After, das er sich täglich bepinselt,
SPRING mit rot-gelb-brauner Jodtinktur,
DEUTSCHBAUER wobei er kläglich winselt.
SPRING Frau Wirtin hat auch ein Fahrrad ganz besonderer Art.
DEUTSCHBAUER Mit einer Nadel im Sattel, die sticht.
SPRING Wohin, das sagen wir nicht.
DEUTSCHBAUER Meine Damen und Herren, der nächste »Wirtinnen-Film« ist und bleibt wohl der mißverstandenste von allen. Zeitgleich entstanden, teilt er auch das Schicksal mit Antels »Bockerer zwei – Österreich ist frei«.
SPRING Frau Wirtin hat nämlich auch einen Freund von der SA, doch auf seinem Hintern, was sieht sie denn da?
DEUTSCHBAUER Um der Wirtin und allen anderen zu imponieren, ließ er sich den Hitlergruß eintätowieren.
SPRING Die erhobene Rechte auf der linken Backe.
DEUTSCHBAUER Diese Pose wird wohl noch lange nicht verstanden werden.
SPRING Wir werden ihr im Antelschen Filmwerk in mehreren Varianten wiederbegegnen.
DEUTSCHBAUER Ja, Frau Wirtin hat auch einen Gendarm, der hat einen verbogenen Arm, den biegt sie gerade und er bricht.
SPRING Ist es schade oder nicht?
DEUTSCHBAUER Antel läßt diese Frage offen. Beziehungsweise beantwortet er sie auf andere Weise, nämlich durch einen anderen, viel späteren »Wirtinnen-Film«. Die Frau Wirtin hat auch ein Kind mit einem verbogenen Pint.
SPRING Ein Pint? Was ist das?
DEUTSCHBAUER Der Pint ist bei Antel das, was das MacGuffin bei Hitchcock ist.
SPRING Und was geschieht mit dem Pint bei Antel?
DEUTSCHBAUER Er bricht natürlich, die Wirtin biegt ihn ja gerade.
SPRING Wie schade.
DEUTSCHBAUER Meine Damen und Herren, wir brechen an dieser Stelle unsere Auflistung des »Wirtinnen-Stoffes« ab.
SPRING Wie schade.
DEUTSCHBAUER Vielleicht noch der letzte »Wirtinnen-Plot«.
SPRING Im letzten Film hat die Frau Wirtin auch einen Maler, der heißt Brand.
DEUTSCHBAUER Der Maler Brand malt den Pint an die Wand.
SPRING Dann wird man endlich sehen, was es mit dem Pint auf sich hat.
DEUTSCHBAUER An dieser Stelle wäre zu fragen, was in einer uneinheitlichen Welt, einer Welt ohne Einheit also, imstande ist, Einheit zu stiften und Einheiten irgendeiner Art aufrechtzuerhalten.
SPRING Die Antwort ist einfach: der Pint.
DEUTSCHBAUER Das Klischee.
SPRING Maler Brand malt den Pint an die Wand.
DEUTSCHBAUER Nichts als Klischees.
SPRING Überall Klischees...
DEUTSCHBAUER Das Problem hatte sich im österreichischen Film schon ganz früh mit Franz Antels »Hallo Dienstmann« ergeben. Eine zersprengte und lückenhafte Wirklichkeit, eine Zwischenkriegswirklichkeit mit einem Gewimmel und Gewimmer von Gestalten, die von Nebenfiguren zu Hauptfiguren werden und umgekehrt.
SPRING Diener als Herren und Herren als Diener.
DEUTSCHBAUER All das kittet Antel mit Klischees, gängigen Bildern und Liedern aus seiner Epoche. Am Schluß finden sich die Leute durch die Macht eines läppischen Liedchens zusammen. Doch das ist es: Ein jedes Ende, meine Damen und Herren, ist abgedroschen.
SPRING Die Hauptfiguren, Moser und Hörbiger, sind Dienstfiguren, der eine echt, der andere falsch, das macht in dieser Welt, von der wir reden, keinen Unterschied. Moser, der echte Diener, benimmt sich wie ein Herr, und Hörbiger, der Herr, wie ein Diener. Antel erstellt in »Hallo Dienstmann« einen Katalog sämtlicher psychischer und sozialer Klischees, die im Hierarchie-Klischee wurzeln.
DEUTSCHBAUER Es entsteht ein invertierter Elfenbeinturm, ein Raum, der sich in die Welt tief hineinbohrt, in die Widersprüchlichkeit, Verästelungen und Verstrickungen von kleinen Einheiten, die an unendlich viele unterirdische Stränge und Systeme angeschlossen sind.
SPRING Ein Bild, das wir Gerald Raunig verdanken,
DEUTSCHBAUER der es wiederum Hito Steyerl verdankt
SPRING und die wiederum Kafka.
DEUTSCHBAUER In diesem Sinn dient »Hallo Dienstmann« dem Film, indem er den österreichischen Film zum Dienstfilm par exzellence erhebt.

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»Hallo Dienstmann«
(Franz Antel, 1951)

SPRING Zum ausgelagerten Service-Service für nachholende Reflexion.
DEUTSCHBAUER Zur Reflexionsdienstleistung für den österreichischen Film.
SPRING Für die Filmindustrie überhaupt.
DEUTSCHBAUER »Hallo Dienstmann« stellt die Frage: Wozu dient das Klischee? Antels Antwort: Damit die Leute sich und die Welt ertragen. Wie der Dienstmann die Koffer, trägt der österreichische Dienstfilm das Elend der Welt ins Innere des Bewußtseins, um es dem Außen gleichzumachen.
SPRING Der österreichische Film erneuert damit die romantische Weltsicht in noch radikalerer, dringlicherer, technischer Form: als innere und äußere Herrschaft des Klischees.
DEUTSCHBAUER Aber sie ist die Macht, nur weil sie dem Menschen dient. Wie der englische Romantiker William Blake einmal sagt, würden die Menschen nämlich das Unerträgliche nicht ertragen, wenn die Klischees, die ihnen von Außen aufgezwängt werden, sich nicht zugleich in sie einschlichen, um sie innerlich fügsam zu machen.
SPRING Meine Damen und Herren, warum sollte ein moderner Filmemacher wie Antel die dunkle Organisation der Klischees anprangern, wo er doch selbst unweigerlich zu ihrer Herstellung und Verbreitung beiträgt?
DEUTSCHBAUER Antel nützt dagegen die Chance, aus all den Klischees, die uns das Leben erträglich machen, ein Abbild der Wirklichkeit herauszulösen und es dann gegen jene zu kehren. Nicht Denunziation, sondern Bewußtwerdung der Klischees ist also das Merkmal des modernen österreichischen Films.
SPRING Antel weiß: Auch wenn es zermalmt, verstümmelt und zerstört wird, steigt das Klischee früher oder später wieder aus seiner Asche empor.
DEUTSCHBAUER Warum dieses Wissen in Österreich, noch vor Frankreich und Amerika – von der Schweiz ganz abgesehen?
SPRING Nach dem Krieg entwickelte Österreich den Ehrgeiz, zu den Siegern zu gehören. Im Dienste dieses Traums mußte der österreichische Film als Beitrag zum Sieg gelten können.
DEUTSCHBAUER Das wirft auch ein Licht auf die Reaktion gewisser amerikanischer Kritiker – insbesondere des späten Antels, die in seinem Werk eine ungeheure Anmaßung eines besiegten Landes, eine Art Schmähung der wahren Sieger verstanden.
SPRING Je falscher es erscheint, desto wahrer ist es.
DEUTSCHBAUER Wenn alles Klischee ist und überall das Falsche als das Wahre herrscht, wenn ein Abbild der Wirklichkeit als Abziehbild nur über einem anderen abgezogen wird, um es zu verbreiten, scheint es keinen anderen Ausweg zu geben als ein Kino der Persiflage und der negativen Parodie. Tatsächlich ist Antel nicht beim negativen Bewußtsein stehengeblieben, sondern hat sich auf die höchste Reflexion eingelassen.
SPRING Wenn innere und äußere Bilder Klischees sind, wie läßt sich aus ihnen dann ein Bild herausschälen, das nicht ihr Abbild ist? Nichts weiter als ein Bild?
DEUTSCHBAUER Antel war von Anfang an fest davon überzeugt, daß aus der Gesamtheit der Klischees ein Bild, ein autonomes Bild herauskommen muß.
SPRING Was wäre ein Bild, das kein Klischee ist? Wo hört das Klischee auf und wo fängt das Bild an?
DEUTSCHBAUER Gibt es überhaupt ein autonomes Bild, das Substanz ist und sich nicht mit einer Rolle im Beziehungsgeflecht anderer Bilder begnügt, gibt es ein Bild, das Substanz ist, denkende Substanz, ein Bild, das zu denken anfängt?
SPRING Die Antwort darauf finden wir in »00-Sex am Wolfgangsee«. In diesem Film schenkt uns Antel ein neues, mentales Bild, eine Gedankenfigur, welche die Filmgeschichte gerade nicht zum Abschluß bringt, sondern eine Mutation bewirkt.
DEUTSCHBAUER Dieser Altmeister der Cinematographie versteht es wie ein Botticelli, eine gut gezeichnete Wade mit der Bedeutung in Einklang zu bringen, die sie als bloße Form für das Bild als Ganzes, als eines der Elemente der Gesamtkomposition besitzt.
SPRING D.h. eine Wade, die vermutlich ihrer Projektion auf die Ebene nach den Gesetzen der Perspektive entspricht.
DEUTSCHBAUER Die Wade der jungen Waltraud Haas auf einem Trampolin am Wolfgangsee.

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»00-Sex am Wolfgangsee«
(Franz Antel, 1966)

SPRING Diese Wade
DEUTSCHBAUER – der Einfachheit halber nehmen wir nur einen Teil der in der Einstellung gezeigten Dame –
SPRING diese Wade, die als eine längliche Form erscheint,
DEUTSCHBAUER die oben breiter als unten und von gelblich-rosiger Farbe ist,
SPRING stellt den wesentlichen Inhalt jenes Teils der Einstellung dar, den sie ausfüllt.
DEUTSCHBAUER Aber sie bildet dessen Inhalt nicht als solchen, d.h. nicht als eine Wade, die wir uns aufgrund ihres Bildnisses mit einer Deutlichkeit und einem Realismus, der einer besseren Sache würdig wäre, so vorzustellen vermögen, als betrachtete man soeben eine ganz reale Wade neben sich am Strand und hätte alle angenehmen
SPRING oder unangenehmen
DEUTSCHBAUER Gefühle, die man bei solchen Gelegenheiten zu haben pflegt. Nehmen wir hinzu, daß der zu dieser Wade gehörende Fuß beschuht ist und daß weit oberhalb des Knies ein hellblaues Kleid beginnt.
SPRING Der wesentliche Inhalt dieser Einstellung ist für uns also das Verhältnis dieser Formen und Farben untereinander.
DEUTSCHBAUER Und zur Gesamtheit des Wassers des Wolfgangsees, das dieses Bild einrahmt.
SPRING Aber warum, fragt uns der Cineast,
DEUTSCHBAUER der eine ungeheuere östereichische Aufschneiderei wittert,
SPRING warum lugt gerade in dieser Einstellung die Wade unter dem hellblauen Kleid hervor, das den Körper von Waltraud Haas umhüllt, den Körper, über den sich ihr schönes Köpfchen erhebt, mit einem hoheitsvollen oder auch schelmischen Ausdruck um die Augen.
DEUTSCHBAUER Und einem zum Küssen geöffneten Mund.
SPRING Wenn es Antel um Form und Farbe geht, warum ist dann in dieser Einstellung nicht eine auf den Kopf gestellte, überdimensionale Bierflasche zu sehen?
DEUTSCHBAUER Wie es vielleicht der Wahlösterreicher Herbert Achternbusch abgefilmt hätte, allerdings am Starnbergersee.
SPRING Eine mit fleischfarbenem österreichischen Brauunionsbier gefüllte Bierflasche, über die ein hellblaues Tuch gebreitet ist, so daß eine vollkommene Imitation des unter dem Tuch verborgenen Körpers entstünde.
DEUTSCHBAUER Die mit der Pose von Waltraud Haas identisch wäre.
SPRING Die Einstellung würde sich kaum von der vorherigen unterscheiden, denn Gestalt und Farbe wären schließlich dieselben.
DEUTSCHBAUER Wade oder Flasche?
SPRING Weil die Richtungsspannung von links nach rechts unten verlaufen soll, entschied sich Antel mit Recht für die Wade.
DEUTSCHBAUER Entschied sich Antel für ein hellblaues Kleid, in das der Wind fährt, der in der Einstellung von rechts nach links weht.
SPRING Darum ist es nicht gleichgültig, ob sich in der Einstellung eine Wade oder eine Flasche befindet.
DEUTSCHBAUER Auch ganz ungeachtet der Richtungsspannungen.
SPRING Die Filme Antels sind trotz oder wegen ihrer realistischen Ausführung große Kunstwerke, denn ihre unmittelbare Vision befreit sich durch ihre Kraft von jeglicher Theorie und Programmhaftigkeit.
DEUTSCHBAUER In ihnen steckt eine ungeheuere Menge von der Besonderheit des Österreichischen, von der Fähigkeit, dieses Österreichische
SPRING – was immer das ist –
DEUTSCHBAUER in Form- und Farbzusammenhänge umzusetzen.
SPRING Kurz, in ihnen steckt ungeheuer viel Talent.
DEUTSCHBAUER Wenn man einige Begabung und Übung besitzt, kann man auch in einem Film wie »Nordrand« der österreichischen Filmemacherin Barbara Albert einmal für einen Augenblick jenes Gefühl der Merkwürdigkeit des österreichischen Daseins entdecken, was ein grundlegendes Moment dessen ist, das beinahe allen Filmen Antels eigen ist.
SPRING Der Vorwurf der Beliebigkeit in der Verknüpfung der Elemente,
DEUTSCHBAUER der Farben und Formen, der Klänge und Rhythmen, der Abfolge menschlicher Handlungen und Worte in einem Film,
SPRING kann nie ganz widerlegt werden.
DEUTSCHBAUER »Ce sont des femelles, des quadrupèdes sur les tapis des billards«, hat ein Kritiker über einige Filme Antels einmal geäußert, der nicht begriffen hat, daß die Form bei gleichen formalen Gegebenheiten die gleiche wäre, ob nun Waden abgefilmt sind oder Planken oder Bierflaschen.
SPRING Der Künstler ist keine Maschine, die automatisch Wade und Flasche zu einer Einheit fügt.
DEUTSCHBAUER Grundsätzlich ist es gleichgültig, ob die vorliegende Gestalt eher einer Wade oder eher einer Flasche ähnelt, auch wenn der fertige Film erregend wirken beziehungsweise an bestimmte Gegenstände erinnern mag.
SPRING Da die Gegenstände, ob Wade oder Flasche, als solche in ihrem Wesen unangetastet bleiben.
DEUTSCHBAUER Wenn wir die hübsche Wade einer hübsch gefilmten Waltraud Haas betrachten, sehen wir bloß die hübsche Wade und freuen uns darüber, daß die Wade hübsch ist.
SPRING Mehr oder weniger eine interesselose Anschauung.
DEUTSCHBAUER Wenn man es aus der Sicht des Alltags betrachtet, zum Beispiel als eine mutmaßliche Wade,
SPRING eine Wade genausogut und ohne Widerspruch als Wadenstadium oder Wadenteil
DEUTSCHBAUER oder als Ankündigung einer Wade.
SPRING Meine Damen und Herren, wir verstehen weder die mutmaßliche noch die tatsächliche Wade.
DEUTSCHBAUER Mit »00-Sex am Wolfgangsee« hat Franz Antel ein Meisterwerk geschaffen, ein Meisterwerk, mit dessen Hilfe wir nicht bloß die Wade, sondern das ganze Leben überhaupt vergessen können.
SPRING Sofern wir in ihm überhaupt nach solchen unwesentlichen Elementen suchen.
DEUTSCHBAUER Ob nun Wade oder Flasche, sei‘s drum.
SPRING Wir meinen damit, einmal diesen Streit geklärt zu haben.
DEUTSCHBAUER Man braucht nur die Wade vergessen können, so wenig bedarf es.
SPRING Aber es ist schwer.
DEUTSCHBAUER Die Cinematographie ist beispielhaft für eine gemischte Kunst. Film in Österreich ist immer ein seltsames, unreines Gemisch.
SPRING Mehr noch als auf »00-Sex am Wolfgangsee« trifft das auf »Heimweh« zu, ein Film, der einige Zeit früher entstand.
DEUTSCHBAUER »Heimweh ... dort, wo die Blumen blühen«.
SPRING Über diesen Film sagte der Filmkritiker Alexander Horwath: »Franz Antel hat diesen Film auf das Österreich der Fünfziger Jahre abgestimmt und außerdem zu einem Höhepunkt der österreichischen Filmproduktion beigetragen.«
DEUTSCHBAUER Im Vergleich mit dem Film »Nordrand« der jungen österreichischen Fimemacherin Barbara Albert erscheint der Film »Heimweh« von Franz Antel wie ein Premake.
SPRING »Nordrand« als eine Art Interpretation von »Heimweh«.
DEUTSCHBAUER In »Heimweh« schafft Antel aus den unterschiedlichsten Anteilen eine synthetische Einheit, in deren rein formalen Zusammenhängen sich das Gefühl des Österreichischen unmittelbar ausdrückt.
SPRING Der österreichische Film darf auf keinen Fall durch einen kontinuierlichen Zusammenhang mit der österreichischen Lebenspraxis zu einem Alptraum werden.
DEUTSCHBAUER Wen interessiert es denn, was in der Markomannenstraße 37, dritte Etage links, passiert oder in einem verwunschenen Schloß oder in alten Zeiten.
SPRING Wir meinen jedoch, was den österreichischen Film betrifft, so bedarf er einer gewissen Zeit systematischer Injektionen.
DEUTSCHBAUER Wie eine Schule neuen Sehens müssen die verschiedenen von Franz Antel ersonnenen filmischen Stilmittel auf den neuen österreichischen Film angewendet werden.
SPRING Multiperspektivität des Kamerablicks,
DEUTSCHBAUER Großaufnahme,
SPRING kontrastive Grautönigkeit des Filmbilds,
DEUTSCHBAUER lange Abwesenheiten von Sprache,
SPRING Physiognomik von Menschen und Dingen
DEUTSCHBAUER und ähnliches.
SPRING Ambivalenzen von Gestaltung und Anschauung, von Präsenz und Distanz,
DEUTSCHBAUER von Erlebnis und Erinnerung,
SPRING von Aktualität und Vergangenheit,
DEUTSCHBAUER von scheinbarer Ganzheitlichkeit und Gebrochenheit,
SPRING von Pathos und Authentizität,
DEUTSCHBAUER von Zeigen und Verschleiern.
SPRING Um es in den Worten Franz Antels zu sagen: »Zu meinen ästhetishen Grundsätzen gehört seit je dieser: Von jeder Kunstregel ist auch das Gegenteil möglich.«
DEUTSCHBAUER Der Gegensatz.
SPRING Eine gewisse Sorte von Starrköpfen wird uns hier natürlich bezichtigen, wir wollten ihnen und dem österreichischen Film Hirngespinste aufschwatzen.
DEUTSCHBAUER Aber das spielt für uns – zumindest vorläufig – keine Rolle.
SPRING Es ist kein Wunder, daß die Kritiker Antels beinahe immer eine seltsame, tiefgehende moralische Entrüstung an den Tag legen.
DEUTSCHBAUER Man kann sich ohne Mühe all das, was sie ablehnen, so serviert vorstellen, das sie es begeistert annehmen.
SPRING Soweit ist jede Kritik an Antel nur Symptomkritik und hat selber nur symptomatischen Charakter.
DEUTSCHBAUER Sie erschöpft sich im Geschmacklichen und bleibt hierbei ganz in klassischen Vorurteilen befangen.
SPRING Um es mit Hamlet zu sagen: »Besser die Sache noch einmal beschlafen.«
DEUTSCHBAUER Oder Macbeth: »Ich bin zu Höherem berufen.«
SPRING Wir könnten uns vorstellen, daß es für die Beteiligten, Künstler, Produzenten wie Kritiker, von großer Bedeutung wäre, gemeinsam in eine Filmberatung einzutreten.
DEUTSCHBAUER Ganz nach dem Muster einer Eheberatung. – Diese Vorstellung ist fortschrittlich.
SPRING So eine Filmberatung
DEUTSCHBAUER – Eheberatung –
SPRING hätte etwa bestimmte lehrhafte Absichten.
DEUTSCHBAUER Man kann alles verzeihen, wenn es gekonnt ist.
SPRING Franz Antel ist bei seinem Film »Heimweh« ja wirklich etwas Eigentümliches eingefallen.
DEUTSCHBAUER Ein Stift mit Abt und Patres,
SPRING Fabrikanten,
DEUTSCHBAUER Dienstboten,
SPRING Liebesgeschichten,
DEUTSCHBAUER Selbstmordversuchen
SPRING und die Wiener Mozart-Sängerknaben.
DEUTSCHBAUER Und das alles vor der Kulisse von Dürnstein in der Wachau,
SPRING Niederösterreich.
DEUTSCHBAUER Es treten drei schwarzgewandete Patres auf, die sich vor, man weiß nicht vor wem, verneigen.
SPRING Einer von ihnen deklamiert ein Gedicht.
DEUTSCHBAUER Es hat den Eindruck, daß es genau in diesem Moment notwendig ist.
SPRING Es tritt ein sanfter Alter auf,
DEUTSCHBAUER Paul Hörbiger,
SPRING eine Katze an der Leine führend.
DEUTSCHBAUER Orgelmusik ist zu hören.
SPRING Der sanfte Alte sagt etwas zu den drei Patres.
DEUTSCHBAUER Von einem kleinen Tisch fällt ein Glas herab.
SPRING Alle werfen sich auf die Knie
DEUTSCHBAUER und beten.
SPRING Der sanfte Alte verwandelt sich in einen grimmigen Alten und ermordet einen Wiener Mozart-Sängerknaben, der kurz zuvor noch zu der Orgelmusik sang.
DEUTSCHBAUER Darauf eilt ein junger Pater hinzu,
SPRING der Chorleiter,
DEUTSCHBAUER und dankt dem Alten für die Mordtat.
SPRING Uns so weiter.
DEUTSCHBAUER Mit dem Film »Heimweh
SPRING ... dort wo die Blumen blühen«
DEUTSCHBAUER schaffte Antel etwas Skizzenhaftes, Abruptes, Lückenhaftes, Fragmentarisches.
SPRING Das ist ein eminent künstlerischer Vorteil.
DEUTSCHBAUER Dieser Film Antels aber ist nicht nur wie alle Filme Antels explizit filmisch, er reflektiert vielmehr diese Filmhaftigkeit auch durchgängig.
SPRING Das heißt, dieser Film repräsentiert nicht ein Duo aus Faktum und Bewußtsein,
DEUTSCHBAUER was gängiger Vorstellung entspräche,
SPRING sondern ist als Faktum immer schon bedeutendes, filmisches Faktum.
DEUTSCHBAUER Daher hat man als Betrachter der Filme Antels,
SPRING gemeinsam mit einigen Figuren der Filme,
DEUTSCHBAUER nie den Eindruck, es mit einer stabilen Realität zu tun zu haben. Mögliche Stabilisierungen ergeben sich erst aus kommunikativen Prozessen,
SPRING zwischen also mindestens zwei beteiligten Personen,
DEUTSCHBAUER in denen bestimmte Beschreibungen
SPRING und fortgesetzte Differenzierungen
DEUTSCHBAUER oder gemeinsame Strukturierungen von Wahrnehmungsfeldern vorgenommen werden.
SPRING Nicht nur der Film, sogar das Filmen selbst,
DEUTSCHBAUER das heißt die narrative Einordnung von Geschehnissen und Erlebnissen in zeitlich-räumliche Kontinuitäten,
SPRING setzt sich auch gegen eine Welt durch, die in ihren aktuellen Erscheinungsformen unübersehbar,
DEUTSCHBAUER unverständlich
SPRING und bedrohlich geworden ist.
DEUTSCHBAUER Antel schuf keine langweiligen Heimatfilme, keine Wochenschau-Aufnahmen, sondern höchst künstlerische Bilddokumente.
SPRING Immer wieder hat er bewiesen, daß er das kann.
DEUTSCHBAUER Kein Widerstand konnte ihn brechen, das sah schließlich auch die österreiche Filmförderung ein und finanzierte viele seiner Filme ohne vorangehende Lektüre der Drehbücher.
SPRING So groß war das Vertrauen des offiziellen Österreichs in die Filmkunst Antels.
DEUTSCHBAUER Für die Wirtinnen-Filme ist die österreichische Filmförderung bis ins das Jahr 2013 reseviert.
SPRING Antel notiert im Tagebuch am 1.5.1965: »Meine Methode ist es nicht, das Harte vom Weichem zu scheiden, sondern die Härte des Weichen zu sehen.«
DEUTSCHBAUER Das ist eine analoge Paradoxie.
SPRING Die integrative sinnstiftende Kraft eines Antels ist das, was Zusammenhang stiftet zwischen den Bildern und Tönen, zwischen Film und Publikum,
DEUTSCHBAUER zwischen den verstreuten Teilen des Ereignisses und der erzählten Geschichte.
SPRING Antels Filme legen es nahe, angesichts dieser österreichischen Großproduktionen nicht von Filmen, sondern von Film-Ereignissen zu sprechen.
DEUTSCHBAUER Das vor gut dreißig Jahren begonnene Film-Ereignis der Wirtinnen-Filme appelliert an den Mehrfachkonsum.
SPRING Es ist vielleicht die Signalfunktion von Titeln und Bildern, durch die die Filme Antels unseren Alltag so weit und nachhaltig zu durchdringen vermögen.
DEUTSCHBAUER So als würde es hier und jetzt passieren.
SPRING Kino ist nie etwas Reines.
DEUTSCHBAUER Wir stellen uns den österreichischen Film wie einen weit verzweigten Strom vor, der niemals vollständig oder festgefügt sein kann.
SPRING Ich selbst habe als Teenager zum ersten Mal einen Film von Franz Antel gesehen und das hat mir für vieles, nicht nur für Film, die Augen geöffnet.
DEUTSCHBAUER Von allem Lebenspraktischen unabhängig.
SPRING Zeitlebens experimentierte er mit innovativen Aufnahmetechniken und -standorten.
DEUTSCHBAUER Er drehte oft auf Rollschuhen laufend.
SPRING Um jede Szene seinen Schauspielern anschaulich demonstrieren zu können, lernte er unter anderem das Tauchen
DEUTSCHBAUER und das Reiten ohne Sattel.
SPRING Sein Ziel war es, die verschiedensten Materialien anspruchsvoll, spannend und sinnvoll umzusetzen.
DEUTSCHBAUER Und selten macht man sich eine Vorstellung davon, wie weit das reicht.
SPRING Bis hin zu den Sachen selbst, mit ihren genau und unpersönlich zugewiesenen Eigenschaften.
DEUTSCHBAUER Die Schauspieler als solche darf es nicht geben.
SPRING Und doch erfüllen sie die Aufgabe, uns in Übereinstimmung mit der Handlung zu halten.
DEUTSCHBAUER Künstlerisch befriedigende Filme zu machen, die auch Nicht-Cineasten mitreißt und Zuschauer aller Nationen bewegt.
SPRING Mit Massenszenen aus der Totale.
DEUTSCHBAUER Kaum ein Regisseur außer Antel nimmt auf eine Weise wahr, die der Projektion auf der Kinoleinwand entspricht.
SPRING Die Totalität seines Werkes entsteht dadurch,
DEUTSCHBAUER scheinbar paradoxerweise,
SPRING daß sich die Seele dieses Regisseurs in sein Werk so sehr hineingestaltet, daß das Werk in seiner Abgeschlossenheit ihm wie eine zweite Natur gegenübersteht.
DEUTSCHBAUER Und in Wahrheit ist nichts natürlicher als eine scheinbare Paradoxie.
SPRING Die Mechanik des alltäglichen Sprachgebrauchs wurde von Antel zur Voraussetzung für die paradoxe Konterkarierung des eigenen Arbeitsprozesses umstilisiert.
DEUTSCHBAUER Die Filmpraxis Antels bezeichnet dabei eine bestimmte Funktion der Kunst, und zwar die Herstellung von Wahrnehmungsalternativen.
SPRING Denn wer ein Regisseur und kein Schwätzer ist, gestaltet ja doch nicht seine Einfälle, sondern im einzelsten Einfall noch seinen Traum.
DEUTSCHBAUER Das Ohr ist stumm,
SPRING der Mund ist taub,
DEUTSCHBAUER aber das Auge vernimmt
SPRING und spricht.
DEUTSCHBAUER In ihm spiegelt sich von außen die Welt,
SPRING von innen der Mensch.
DEUTSCHBAUER Johann Wolfgang Goethe
SPRING Von.
DEUTSCHBAUER Von?
SPRING Von Goethe.