Zwei Spindeln im Mond
S: Wir beginnen wie immer mit einem einführenden Witz
D: aus unserem Buch »2 Männer 1 Witz«.
S: Der Deutschbauer trifft den Spring beim Spinnen. Deutschbauer zeigt auf einen großen Garnknäuel: »Hast du das alles selber gesponnen?« – »Nein«, antwortet Spring: »die Spindel hat mir dabei geholfen.«
D: Das versteh´ ich jetzt nicht.
S: Ohne Spindel könnte ich nicht spinnen.
D: Aber mit der Spindel hast du selber gesponnen.
S: Der Witz liegt darin, dass ich nicht selber spinne, sobald eine Spindel im Spiel ist.
D: Und was bedeutet dann, dass ich z.B. selber spinne?
S: Es bedeutet eine andere Welt.
D: In der mir der Hanf aus dem Hals wächst,
S: direkt auf deine Spindelnase,
D: die sich hurtig dreht,
S: damit du dir dein eigenes Garn aus der Nase ziehen kannst.
D: Da wäre ich mehr eine Spinne als ein Spinner,
S: eine Spinnerin eben, wie wir sie auch nennen, die aus sich selber spinnt.
D: Dann spinne ich also eigentlich nie selber,
S: weil du in dieser Welt zu allem, was du machst, etwas anderes brauchst.
D: Eva mit Spindel, ich verstehe.
S: Ora et labora, zu deutsch: bete und fluche.
D: Also ich finde das gar nicht lustig.
S: Ist ja auch nur ein Witz
D: aus unserem Buch: 2 Männer 1 Witz.
S: Meine Damen,
D: meine Herren,
S: es ist uns eine große Freude
D: und Ehre,
S: dass wir hier,
D: beim 3. Internationalen Christine Lavant-Symposion 2005,
S: eine Rede halten dürfen,
D: die als Doppelrede
S: oder Doppelspiel
D: den Titel eines Gedichtbandes von Lavant
S: Spindel im Mond,
D: verdoppelt.
S: 2 Spindeln im Mond,
D: so der Titel,
S: unter dem wir über die Spindel im Mond reden werden,
D: als zwei Spindeln nicht nur, weil wir zwei sind,
S: die ihre Rede aus diesem Gedichtband abgezwirnt haben,
D: sondern weil unser Reden über Texte im allgemeinen,
S: insbesondere über Gedichte Lavants,
D: diese Texte automatisch
S: beziehungsweise notgedrungen
D: verdoppelt.
S: Zu dieser Verdopplung zwingt uns die Einfalt unserer Sprache selbst,
D: welche uns zwingt, die Dinge immer nur zur Hälfte auszudrücken,
S: weil sie zur anderen Hälfte identisch mit den Worten sind,
D: die wir für sie gebrauchen.
S: Wie Lavant einmal formelhaft sagt : Einfalt verdoppelt und das Doppelte halbiert.
D: Wir werden darauf des öfteren zurückkommen.
S: Meine Damen und Herren, was heißt : Über ein Gedicht mit ihm selber,
D: dem Gedicht,
S: reden?
D: Es heißt zunächst einmal, es als solches zu lesen.
S: Ein Gedicht als Gedicht ablesen können,
D: ohne eine Interpretation dazwischen zu mengen,
S: ist jedoch schon die letzte Form der inneren Erfahrung mit ihm,
D: vielleicht eine, die uns kaum möglich ist.
S: Denn wir verlassen das Wort,
D: sobald wir es lesen,
S: indem wir es automatisch
D: bzw. notgedrungen,
S: auf etwas projizieren und hinaufspulen,
D: das es nicht selbst ist.
S: Andernfalls wären wir zu einer wortwörtlichen Wiederholung des Gedichts gezwungen,
D: zu einer mechanischen Verdopplung, die in gewissem Sinn
S: – stupide und stupend gleichzeitig –
D: seine beste Beschreibung wäre.
S: Wie also ist es möglich, ein Gedicht zu lesen?
D: Wir lesen: Spindel im Mond,
S: und verstehen Halbmond,
D: wenn wir die Spindel als Mechanismus nehmen,
S: um mit ihr diese gewisse Halbwelt auf- und abzuspulen, die
D: – in dem durchaus doppeldeutigem Milieu der Spindel –
S: in einem der Gedichte verborgen ist,
D: im Mond verborgen.
S: Wenn ein Gedicht einem Band den Namen gibt, hat es den Effekt, als würde es über die anderen Gedichte reden,
D: aber auch, als würde das Gedicht mithilfe der anderen Gedichte über sich selbst reden,
S: als wäre in ihnen allen die Spindel gegenwärtig,
D: die es selbst im Mond verbirgt.
S: Mit der Spindel und dem Mond treffen zwei entgegengesetzte poetologische Klischees aufeinander.
D: Der Mond ist das Bild einer entrückten, mehr oder weniger in sich selbst ruhenden oder verliebten Lyrik,
S: während uns die Spindel die linearen Fäden der Erzählung in die Hand gibt,
D: damit wir sie in den Rahmen der Zeit einflechten,
S: miteinander verknüpfen und verweben und so weiter,
D: wobei die verschiedensten Muster durch einen gemeinsamen Untergrund verbunden sind,
S: dem Gesetz von Raum und Zeit,
D: ein Grund, auf dem auch unser prosaisches Selbstverständnis ruht
S: und von dem sich die Lyrik Lavants absolut abzuheben scheint.
D: In diesem Zusammenhang lässt sich scheinbar leicht aufdröseln, was die im Mond verborgene Spindel bedeutet.
S: Es ist die im Gedicht verborgene oder aufgehobene Zeit der Erzählung,
D: die zugleich die Zeit der Arbeit ist,
S: eine Zeit, die von Anfang bis Ende unser Leben strukturiert.
D: Nichts anderes als diese Zeit wäre dann der Gegenstand des Gedichtes,
S: den es betrachtet und beschwört,
D: und anschreit,
S: um ihm sein Geheimnis zu entlocken.
D: Wir zitieren:
S: Spindel, Spindel – ich schaue dich an,
D: ich durchschaue das Rad zwischen Gestern und Morgen!
S: Das Gedicht verspricht uns den Durchblick auf das Wesen der Zeit,
D: um dieses Versprechen sogleich aufzuheben:
S: Aber grad heute geht mir die Kindschaft durchs Herz,
D: aber grad heute wächst mir der Hanf um den Hals.
S: Den Hanf um den Hals, meine Damen und Herren,
D: – das ist die Spindel in Person,
S: als märchenhaftes Spindelwesen, das der Kindschaft angehört
D: und das Rad der Zeit gar nicht durchschauen und erkennen will,
S: sondern blockiert und aus den Angeln hebt.
D: Es legt sich den Hanf nicht nur um den Hals,
S: sondern schafft ihn sich auch vom Hals,
D: nicht, indem es ihn dort folgerichtig fortspinnt,
S: sondern es
D: – wir zitieren:
S: verknüpft dort den Vater, den Sohn und die Zeit.
D: Es verknüpft die Form der Zeit mit dem Zeitlichen, das der Zeit unterworfen ist,
S: Vater im Himmel und Sohn am Holz.
D: Wenn man in diesem Gedicht den Mond sucht,
S: der in ihm buchstäblich verborgen ist, weil nie genannt wird,
D: dann ist er hier zu finden,
S: im Versuch der Lyrik, den Lauf der Zeit formal zu sistieren,
D: d.h. in Form von Bildern und Metren in sich aufzunehmen und zu verbergen,
S: als wäre sie die Form der Zeit selbst,
D: die sie nur nachspielt.
S: Ähnlich, wie der cirulus vitiosus deus zum schnurrenden Spielrad wird,
D: in der Hand des Zeit spielenden Kindes bei Nietzsche.
S: Zeit zu spielen und aus den Angeln zu heben, meine Damen und Herren, das ist das heimliche Versprechen,
D: das sich das Gedicht selber gibt.
S: Aber dieses Versprechen wird,
D: sobald es ausgesprochen wird,
S: schon im nächsten Vers aufgehoben,
D: aufgelöst in folgendem Ausruf:
S: O Spindel, gib dein Geheimnis her!
D: Ich schreie dich an durch viel hündische Stunden
S: – das sind viele gezählte Stunden,
D: plus viel Hündisches,
S: doch lange nicht genug davon,
D: um es mit dem Tod aufzunehmen,
S: nämlich dem wölfischen Tod,
D: wie Lavant sagt.
S: Das Gedicht kehrt am Ende nur scheinbar zu den Fragen des Anfangs zurück,
D: es ist keine Heimkehr.
S: Es hat sich endgültig mit der Zeit entzweit,
D: nachdem es sie sich spielend einverleibt hatte,
S: bzw. im ästhetischen Stoffwechsel mit ihr identisch geworden ist.
D: Eine Selbstentzweiung also,
S: die das Gedicht halbiert,
D: ebenso wie das Wesen der Zeit,
S: Kreis und Linie.
D: Die hündischen Stunden – wir zitieren,
S: umkreisen die Frucht der lebendigen Zeit,
D: und locken den wölfischen Tod in den Docht,
S: d.h. in den Tod, sofern er am eigenen Lebensfaden abbrennt.
D: Das Gedicht stellt dem Tod die letzte Falle,
S: es faltet die Linie auf sich selbst,
D: gleichzeitig lockt es sich selbst in sein letztes Wort:
S: in das Mutterleib-Zwielicht,
D: in die eigene Falle,
S: in das Zwielicht zwischen Geborenen und Ungeborenen.
D: D.h. das Gedicht findet letztendlich statt zwischen geschriebenen und nichtgeschriebenen,
S: gelesenen und ungelesenen Gedichten.
D: Es endet nicht in der Selbstauslöschung,
S: sondern im Zwielicht einer Verdopplung, die es halbiert.
D: Es teilt sich gleichsam in die zwei entgegengesetzten Spindelpole der Zeit,
S: in die lineare Zeit, die zum Tod führt,
D: und die zirkuläre Zeit,
S: und teilt diese beiden Zeitformen durch sich selbst.
D: Was ergibt Kreis und Linie durch sich selbst geteilt?
S: Zwei endliche Zeitsegmente,
D: die einander sehr ähnlich sind,
S: halbkreisähnlich,
D: wie die 2 halben Spindeln, die uns übgrig geblieben sind,
S: nachdem die platonische Spindel der Notwendigkeit gebrochen ist,
D: welche einst die Himmelsschalen,
S: die klingenden Sphären,
D: in immer gleicher Drehung bewegt hat.
S: Oder wie Schiller einmal sagt,
D: wir zitieren die Götter Griechenlands:
S: Und an ewig gleicher Spindel winden
D: Sich von selbst die Monde auf und ab.
S: Oder Mörike,
D: O liebste Kirche:
S: Und horch, die Spindel auf und nieder
D: geh´n Melodien wunderhold.
S: Die Literatur ist voll von dergleichen Beispielen, wir wissen.
D: Das Symbol der Spindel ist übercodiert, wie es heißt,
S: wogegen es meist falsch codiert ist,
D: selbst bei Goethe,
S: der die Gräser schließlich anhand der Anschauung ihrer Spindel klassifizierte:
D: Wenn die Natur des Fadens ew´ge Länge,
S: Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt
D: – Faust,
S: der bestimmt auch weiß, dass es anstatt eines Fadens vielmehr ein Gespinst ist,
D: das auf die Spindel gezwungen wird.
S: Gewiss, es ist gleichsam Berufsrecht des Dichters, Symbole in falscher Codierung zu gebrauchen,
D: das Daneben- und Falschsingen des Codes beinahe Berufspflicht.
S: Darum geht es hier auch nicht um den falschen Gebrauch des Spindelsymbols,
D: sondern um die seltsame Warnung vor der drohenden Übercodierung eines Symbols überhaupt.
S: Erinnern wir uns an die Fomel Lavants:
D: Einfalt verdoppelt, und das Doppelte halbiert.
S: Wir greifen einen Code nicht an, wenn wir ihn verfälschen oder ihm ausweichen,
D: sondern wenn wir ihn doppelt nehmen
S: und ihn auf sich selbst anwenden.
*
D: Wie es der barocke Allegoriker z.B. tut,
S: von dem Walter Benjamin im Barockbuch schreibt,
D: der sich den Bruch der Bedeutung
S: und das Aufblitzen des Bezeichneten
D: durch ihre Steigerung erwartet,
S: durch die Ansammlung und Anhäufung von Stereotypen.
D: In diesem und keinem anderen Sinn greift Lavant den sprachlichen Code an,
S: meist als farbfroher konservativer Überschwang von religiösen und anderen Klischees missverstanden,
D: im sogenannten seraphischem Ton,
S: vor dessen revolutionären Effekten gerade die links-ästhetischen Kritiker Lavants ihre Augen verschließen.
D: Dabei spielt die Spindel nicht nur die Rolle eines Symbols unter anderem,
S: sondern an ihr spult sich das ganze Gespinst von symbolischen Bedeutungen auf,
D: um das sich die Spindel im Mond ebenso dreht wie die übrige Welt.
S: Zeit und Arbeit,
D: Lebenszeit als Arbeitszeit,
S: Produktivkraft und Automatismus,
D: Einteilung in zweierlei Geschlechterrollen,
S: Verbot und erste Blutung,
D: Dornröschen,
S: Geschlechtsreife und Körpergefängnis,
D: Goldmarie bei Frau Holle,
S: Gen und Vererbung,
D: die Kernspindel im Zellteilungszyklus
S: bzw. die buchstäblich verborgene Spindel im Mutterleibzwielicht,
D: an deren entgegengesetzten zwei Polen sich
S: in lebhafter Bewegung
D: die Chromosomen orientieren,
S: um unser Geschick als Geschlecht zu entscheiden.
D: Der Lebensfaden,
S: als Engführung von Geboren- und Geschriebensein,
D: Identifikation von Geburt und Schrift,
S: das Genom als heilige Schrift,
D: und umgkehrt.
S: Man hat in der Lavantforschung schon oft darauf higewiesen:
D: Lavant lesen heißt, die Bibel mit einem Fachwörterbuch der Medizin zu lesen,
S: wobei wir immer auch ein Lexikon der Botanik zur Hand haben sollten
D: sowie eine Einführung in die Volkskunde,
S: ein Wörterbuch des kärntnerischen Dialekts
D: und der dialektischen Rhetorik.
S: Denn nicht nur das Gedicht,
D: verborgene Spindel im Mond,
S: steckt am Ende im Zwielicht des Mutterleibs,
D: sondern auch unsere Sprache ist eine immer-noch-ungeborene,
S: zeitlebens abhängig von einer dialektischen Hebammenkunst,
D: deren zentrale Metapher wiederum die Spindel ist,
S: weil wir beim Verstehen wie beim Spinnen die Fasern,
D: die wir zunächst nur lose und ungeordnet aufgreifen können,
S: durch gleichzeitiges Verdrehen und Ausrecken zu einem Faden verarbeiten müssen,
D: wobei sich unsere Tätigkeit im Wesentlichen beschränkt auf den Antrieb des Rades
S: und die Regulierung der Faserzufuhr durch Festhalten und Loslassen der Fasern
D: mit dem eigenen Finger,
S: den wir hier auf das Spindelsymbol halten,
D: dieses verwirrte Gespinnst aus Arbeits- und Geschlechtsleben,
S: das wir auch dann, wenn wir es zu verstehen glauben, nicht etwa entwirren,
D: sondern nur umso fester zu einem Faden verzwirnen,
S: dessen beliebig endliche Länge uns nur darüber hinwegtäuscht,
D: aus wie viel unzähligen Fasern verschiedenster Herkunft und Bedeutung er besteht.
S: Der Faden also – ein in die Länge gezogenes Mikrogespinst von Fasern,
D: auf das wir erneut die Spindel anwenden müssen,
S: deren Produkt er ist.
D: Dergleichen Selbstanwendungen führen gewöhnlich zu Anomalien und Hautausschlägen,
S: doch die Lösung unseres Problems ist auch gar nicht der saubere Faden,
D: sondern, wie Wittgenstein sagt, der Finger, der seinen Fasern entlang fährt,
S: eine Art Spindelfinger, der auf den Spindelbedeutungen tanzt,
D: von denen er sich wie von einer Krankheit anstecken lässt.
S: Erinnern wir uns an die kapitale Frage aus dem Kapital,
D: Kapitel drei,
S: wie der Wert der Spindel zum Garnwert wird,
D: oder denken wir an die Spindel in der ungeschickter Weise allzu starken Hand von Herakles,
S: mit der er sein Geschlecht als ein weibliches ausgeben will,
D: während er sie zerbricht,
S: woraufhin ihn Omphale mit ihrem goldenen Hausschuh schlägt.
D: Die erste Spinnmaschine im 18. Jahrhundert
S: namens Jenny
D: trug bereits über 100 Spindeln,
S: wurde aber immer noch von Hand betrieben.
D: Luther,
S: Handbuch zur Judenfrage,
D: will den Juden eine Spindel in die Hand drücken,
S: um sie gleichsam katholisch zu machen.
D: Oder Maria, mit der Spindel in der Hand:
S: Soeben bei der Verkündigung durch den Erzengel Gabriel,
D: spinnt sie schon den Faden für den Tempelvorhang,
S: der eines Tages zerreißen sollte.
D: Halten wir kurz inne, meine Damen und Herren,
S: und kehren wir zu unserer anfänglichen Frage zurück:
D: Wie können wir ein Gedicht als Gedicht ablesen?
S: – um mit ihm über es selbst zu reden.
D: Offenbar verstricken wir uns dabei in den hoffnungslosen Automatismus eines hermetischen Selbsts,
S: und doch hilft uns auch hier die Spindel weiter.
D: Wir müssen das Wort,
S: sobald wir es lesen,
D: von ihm selbst ablösen und mit ihm verlassen,
S: ihm mit ihm untreu werden,
D: und auf sich selbst zurückspulen,
S: als wäre es ein anderes.
D: Kurz: wir tun, als würde sich das Gedicht von selbst verdoppeln und halbieren gleichzeitig,
S: ein Tun-als-ob, das nur möglich ist, wenn das Gedicht selbst dieses Doppelspiel spielt,
D: wenn es umgekehrt so tut, als würde es sich von selbst ablesen und lösen,
S: verdoppeln und auslegen gleichzeitig.
D: Reden wir hier von Selbstauslegung, dann werden Sie, meine Damen und Herren, zurecht misstrauisch.
S: Denn wir sind hier nicht im Paradies, sondern in Wolfsberg beim Lavantsymposium.
D: Darin liegt der ganze Witz.
S: Darin finden wir jedoch auch Form und Thema unserer Spindel wieder.
D: Denn die Selbstverdopplung kommt hier nicht von aussen hinzu,
S: gesellt sich nicht nur durch unsere Rede zur einsamen Spindel Lavants,
D: sondern sie ist ihr inneres poetologisches Formprinzip.
S: Wir haben es bereits formelhaft ausgesprochen,
D: wir zitieren Lavant:
S: Einfalt verdoppelt.
D: Und:
S: Das Doppelte halbiert.
D: Einfalt verdoppelt und das Doppelte halbiert,
S: das ist das Geheimnis der verborgenen Spindel, von dem das Gedicht spricht.
D: Wie ist das zu verstehen?
S: Erinnern wir uns daran, dass Lavant zunächst und zumeist strickend gelesen hat,
D: sie hat Rilke gleichsam durch die Maschen verstanden,
S: im Rhythmus ihrer Strickbewegungen wiederholt und aufgenommen.
D: Beim Stricken Lesen gebietet Einfalt,
S: dabei wiederholt es den Text formal so präzise wie möglich
D: und begnügt sich mit einem streng halbierten Verständnis,
S: weil es nicht beim Inhalt oder dem Bedeuteten stehen bleibt.
D: Im Grunde lässt sich jeder Text auf diese Weise halb
S: und das heißt textimmanent gesprochen absolut
D: verstehen, wenn wir ihn strickend lesen.
S: Es ist der größte Irrtum der dekonstruktivistischen Literaturwissenschaft, die Handarbeit zu missachten.
D: Lesen heißt also doppelt lesen und halb verstehen,
S: wie es die Einfalt gebietet.
D: Es ist in letzter Zeit viel von Falten gesprochen worden,
S: zumal in der zeitgenössischen französischen Philosophie,
D: um das Subjekt als Faltung neu zu beschreiben.
S: Demgegenüber könnten wir die Einfalt,
D: die verdoppelt,
S: als eine Einfaltung des Subjekts beschreiben,
D: die es gleichzeitig halbiert,
S: aus einem Ich zwei halbe Du´s macht,
D: aus dem lyrischen Ich z.B.,
S: das aus dem Gedicht zu uns spricht,
D: ein halbes lesendes Du,
S: und aus dem lesenden Ich
D: zu dem es spricht,
S: ein halbes lyrisches Du,
D: das sich folglich im Gedicht zur Hälfte selbst ab- und aufliest,
S: und zur anderen darin völlig vergessen kann.
D: So liest man sich mit Lavant nach einem Wortspiel buchstäblich
S: – l´avant lettre –
D: genau halb selbst.
S: Wir verstehen diese Einfaltung besser, wenn wir uns wieder die Handarbeit zum Beispiel nehmen.
D: Ich stricke für dich einen Pullover ohne Ärmel.
S: Warum ohne Ärmel?
D: Weil ich die Strickliesl zur Hilfe nehme.
S: Das Bügelbeispiel.
D: Ich bügle für dich dein Hemd?
S: Leg los.
D: Dann falte ich es in der Mitte, schneide es entlang der Falte in zwei Hälften und lege diese zusammen.
S: Warum zwei Hälften?
D: Weil du gesagt hast: zusammengelegt und ohne Falten.
S: Dies wirft auch ein Licht auf den in der Lavantforschung so oft diskutierten Hedonismus des Leids.
D: Er ist insofern subjektiv und gleichzeitig ästhetisch begründet, als er aus dem Prinzip der Einfalt hervorgeht.
S: Die Einfaltung ist ein einfaches Falten von etwas auf sich selbst,
D: wobei die Falte einen Schnitt macht durch dieses Etwas,
S: so dass es verdoppelt und gleichzeitig halbiert ist.
D: In diesem Sinn teilt uns Lavant auch ihr Leid mit,
S: doch sie teilt es mit uns und uns mit ihm,
D: sodass sie es mit der einen Hand verdoppelt, mit der anderen halbiert.
S: Diese halbierende Verdopplung ist Lavants Stilprinzip,
D: wir könnten es einen Lavantismus nennen,
S: mit dem aus einem Ich zwei halbe Du´s werden z.B.
D: Diese sind jedoch nicht die zwei reflexiven Halb-ichs,
S: die sich schließlich doch als einheitliches Selbst erkennen,
D: das im Bezug auf anderes zu sich zurückkommt,
S: weil es mit all den Tragödien und Kommödien,
D: wie wir sie von der Romantik kennen,
S: dem eigenen Akt der Teilung zugrundeliegt.
D: Lavants Verdopplung ist der des Selbstbewusstseins diametral entgegengesetzt,
S: aber auch dem Subjekt der Postmoderne,
D: das sich im Spiel seiner Differenz dekonstruiert
S: und durch Aufschübe, Nachträge und Übertragungen vervielfacht.
D: Wir sagten: Einfalt verdoppelt,
S: und Einfalt, meine Damen und Herren, ist das Gegenteil der Reflexion.
D: Daher wird das Verdoppelte auch zum Gegenteil der reflexiven Einheit,
S: eine irreflexive Halbheit,
D: eine halbierte Halbheit,
S: die keine andere Hälfte hat, sucht oder auch nur braucht.
D: Eines Tages wird es der Lavantforschung gelingen,
S: und die historisch kritische Nachlassedition hilft uns weiter in dieser Frage,
D: wie wir eine Hälfte als Hälfte denken und erkennen können,
S: und zwar positiv, d.h. ohne dabei auf eine andere, fehlende Hälfte Bezug zu nehmen.
D: Wie lässt sich eine Hälfte denken, ohne dass wir an eine andere Hälfte denken,
S: auf die wir die Halbheit projizieren?
D: Wir fragten: Wie lässt sich ein Gedicht als Gedicht lesen,
S: und dieses Problem ist kein anderes als das der Halbheit.
D: Es ist die Umkehrung des Problems der Negativität,
S: das Kernproblem des Dekonstruktivismus,
D: das in der Frage besteht, wie wir Abwesenheit denken und erkennen können,
S: und zwar negativ, d.h. ohne dabei auf eine Anwesenheit Bezug zu nehmen.
D: Dieses Problem der Negativität hat sich in die Maschen der eigenen Negativität verstrickt,
S: es hat sich ironischerweise in der dekonstruktivistischen Selbstreflexion verfangen,
D: in der die Literatur zum Proliferanten und Beispielgeber degradiert ist.
S: Demgegenüber dürfen wir von der Lavantforschung,
D: am Kernproblem der positiven Halbheit,
S: das Gegenteil erwarten.
D: Besinnung auf das Gedicht
S: und damit auch auf die Einfalt,
D: die aus ihm spricht und sich uns mitteilt,
S: und mit sich auch seine Interpretation teilt:
D: Als ein Lesen mehr auf halber als auf zweiter Stufe,
S: semi- statt metatheoretisch,
D: eine Hermeneutik nicht der Ganzheit,
S: die das Gedicht auf den Horizont einer Idee projiziert,
D: sondern eine Hermeneutik der Halbheit,
S: die das Gedicht auf sich selbst faltet,
D: somit zur Hälfte abbildet,
S: halb auf sich selbst,
D: und halb von ihm absieht
S: und ablässt.
D: Ablass lass ab,
S: wie Lavant einmal sagt.
D: Nachlass lass nach,
S: könnten wir dem heute antworten,
D: anbetracht des ungeheuren Vermächtnisses,
S: das durch ihren Tod vor uns liegt,
D: als wäre es ein von ihr selbst abgeschlossenes Werk,
S: das von der eigenen Poetologie wie von einem fremden Schicksal getroffen wird,
D: indem es sich verdoppelt und verdoppelt,
S: nur um sich weiter zu halbieren und aufzuteilen,
D: auf alles, was es sagt und was es nicht sagt,
S: auf das, was es ist und was nicht,
D: auf alles, was ist und nicht ist,
S: auf Sinn und Unsinn
D: und so weiter.
S: Mit anderen Worten wird das Werk durch den Nachlass wieder zum Gespinst,
D: in einen derart ausfasernden Zustand versetzt, als wäre es noch nicht geschrieben worden,
S: beinahe nicht einmal zu Bündeln zusammengefasst und skizziert.
D: Rückwärts spinnen, in eins zerrinnen,
S: heißt es bei Lavant,
D: und in diesem Sinn können wir
S: anhand der Nachlassedition
D: die Spindel im Mond zurück lesen
S: und auflösen,
D: in ein Palimpsest aus verschiedensten Textsorten und -elementen,
S: eine Art Übergedicht aus Gedichten, Briefen, Notizen etc.,
D: die durch seine lichten Fasern durchscheinen,
S: so dass wir es immer wiederlesend auch von Neuem spinnen werden,
D: wie wir es abschließend ansatzweise bzw. satzweise,
S: von Halbsatz zu Halbsatz,
D: versuchen.
S: Zum Titel: Verborgene Spindel im Mond,
D: vergleiche: Knüppel im Sack.
S: Tanze, Spindel, tanze!
D: Fäden, feine, ganze!
S: Der Halbmond über unseren Herzen,
D: über ein Paar Spindelkerzen.
S: Beide vereint im Halbmonddorn.
D: Zwei Träumer, ein geteilter Traum = ein Halbtraum.
S: Auch du tust viel für die Rosen im Raum.
D: Der Dorn in deiner Hose
S: stach leider keine Rose.
D: Klammer auf: Spindel reimt sich auf Windel.
S: Klammer zu. Die Spindelerziehung bringt viel mehr als die Buscherziehung.
D: Schlechte Spindelerziehung Doppelpunkt Spindelstube Ausrufezeichen.
S: Stachelbeerspindel ist Stachelbeerschwindel.
D: Merke: Die Handspindel ist viel langsamer als das Spinnrad.
S: 1. Zeile: Wer dreht?
D: Wir brauchen noch ein Sesselmädchen.
S: Mädchen nimm dein Rädchen und dein Fädchen.
D: Komm, wir drehen eine Spinnradrunde.
S: Die Spinnerin macht einen Bogen um den Mond.
D: Der Mond hat ein müdes Gefälle.
S: Ich zähle schon wieder deine Bälle.
D: Wer richtet den Mond wieder ein?
S: Ich allein und in einfacher Strenge,
D: zu zweien und in zweifacher Enge,
S: jeder von uns auf den Nacken des anderen.
D: Du greifst in die Kunst meiner Finger ein.
S: Ich rolle dir den Fingerfarn
D: direkt ums Genick.
S: Das geht ins Garn.
D: Ich hänge den Mond an den dünnen Zwirn, den meine Spindel spann.
S: Wir knüpfen ihm den Sternenstrick zu einer engen Schlinge.
D: Meine furchtsame Zunge klebt zornig am Gaumen.
S: Dein zorniger Samen dreht furchtsam die Daumen.
D: Das Mondschwert gleitet stumpf und rund,
S: und hinterlässt uns zwei im Himmelsgrund.
D: 2. Zeile: Wer webt?
S: Wir weben an dem Wiegenband,
D: eventuell: Wiegenbrand.
S: Das Mondschwert macht uns wund und froh.
D: Ich brauche die Bilder: Sieben, Vierzehn und Neun.
S: Zweihundertzwölf, Sechsunddreisig, Dreiundzwanzig.
D: Siebenundzwanzig,
S: Null, Null, Neunundzwanzig, Zwölf.
D: Wir gehen nach Spinnplan vor.
S: Wir fügen uns dann seidenweich
D: und lassen ab vom Himmelreich.
S: Wir werden schlachten den fetten Mond.
D: Damit schießen wir den Vogel ab.
S: Ich höre im Kommen den Mann im Mond im Mund.
D: Dieser Vogel verpfeift uns nie wieder.
S: Vergiss nicht: Der Mond hat Gedächtnis,
D: siehe Mohn und Gedächtnis.
S: Fünf Krähen fressen den Mohnkopf leer,
D: ’ne Kreuzotter schleppt ’ne Krone daher.
S: Wir häuten unsere zweite Natur.
D: Wir nehmen den mittleren Leichnam ab vom Spindelkreuz.
S: Ich werfe den Rechten dir nach.
D: Ich werfe die Linken dir nach.
S: Ich freilich trage die braune Schafwolle, die du mir gesponnen hast.
D: Besser Kreuzspinne statt Kreuzotter.
S: Ich geh’ jetzt das Garn für das Sterbehemd spinnen.
D: Ich geh mit der Sense und hab daran meine wirkliche Freude.
S: 3. Zeile, 1. Fassung: Wer stellt dem Tod den Öltopf vor?
D: Ich habe die heilige Dosis schon erhöht,
S: den Heiligen Geist auch.
D: Zu Säften kommen,
S: nach Birnen riechen,
D: und alles wissen
S: von Winden, Vögeln und Himmeln.
D: Siehe auch Rousseau:
S: Die Vögel zwitschern, der Mensch allein singt.
D: Ich weiß, dass ein Vogel im Hopfenseil sang.
S: Unser Durst wird ein Brand.
D: Dort auf der Mondhof-Mauer ist ein Becher angeglänzt,
S: rollt nah an unserm Mund vorbei,
D: uneingeholt vom Durstgeschrei.
S: Das meiste trank uns der Mager-Mond weg.
D: Der Mond und die Toten, die essen von uns,
S: von unseren Sinnen, die wie Sterne steigen.
D: Vorzeitig
S: und sinnlos!
D: Hoffe dich ins Hoffnungslose.
S: Bete dich ins Gottlose.
D: Kopuliere dich ins Geschlechtslose.
S: Hier, mein Hirn hat es schon erreicht.
D: Denke dich ins Hirnlose.
S: Der Mond nimmt zu,
D: ab und zu,
S: und heilt sich aus,
D: ins Heillose.
S: Vater unser,
D: der du bist entsetzt!
S: Wir hängen das große Entsetzen auf die große Glocke,
D: verdoppeln es zum Halbmond-Stengel,
S: zum Halbstengelmond,
D: genau so gesteigert wie albern: halbern, halberner und am halbernsten,
S: Halbst-Engelmond.
D: 4. Zeile: Wer führt hinters Licht?
S: Nimm meine Augen zu dir.
D: Ich üb´ immer noch die Apfelbitte.
S: Ach – –! Behandle mich mit Strenge.
D: Ein Aufschrei.
S: Ach – –!
D: Eine Bewegung.
S: Das Ausstrecken der Hand.
D: Ein Blick.
S: Dann zwei Gedankenstriche lang Stille.
D: Die zwei Gedankenstriche
S: und das Ausrufezeichen
D: deuten an, was nicht gesagt werden kann,
S: lassen das Unaussprechliche als Bild spürbar werden,
D: durch ein wortloses,
S: aber umso beredteres
D: Schweigen,
S: als Ach!
D: Ach – –! So nah ging uns die Nadel noch nie,
S: der Halbmonddorn x 2.
D: Im Dorf schwillt der Bach
S: und das Heulen der Hunde
D: und uns im Leib der ductus defenes.
S: Mondkreuz!
D: Gib uns deine Ampel mit,
S: damit machen wir überall ein Kreuz.
D: Kreuz bleibt bei Kreuz
S: und Hohlkreuz bei Hohlkreuz.
D: Erz bleibt bei Erz
S: und Erzengel bei Erzengel
D: und der Schuster beim Leisten.
S: Die Ampel haben wir abgetan,
D: den letzten Tropfen vertrunken,
S: nichts rührt uns noch an,
D: die Welt ist uns versunken.
S: 5. Zeile: Spindel, Spindel,
D: – ich schaue dich an.
S: Schau, schau schau, dort nagt eine Maus,
D: und die Geschichte?
S: Die ist aus.
D: Die Geschichte ist tot.
S: Tot ist sie noch lange nicht, sag zuerst wie alt du bist.
D: Ich bin 43.
S: Aber ich fühl dich wie 86.
D: 6. Zeile: Ich durchschaue das Rad
S: zwischen Gestern und Morgen.
D: Holzrad, siehe Holzwege.
S: An der Wurzel von meinem Verstand nagst fremd und gefräßig du.
D: Zornige Mäuse geraten in Zwiespalt.
S: Zwei Zwiespalten
D: sind ein halbes Geviert,
S: ein halber Heidegger.
D: Wir scheuchen den Mond aus seinem Vierkanthof,
S: bis der Hofhund uns anbellt
D: und eine der schwarzen Hennen.
S: Wirf den Leichnam deines Namens aus!
D: Scheucher Beistrich Elisabeth.
S: Holz lautet ein alter Name für Wald.
D: Im Holz sind Wege,
S: die meist verwachsen jäh im Unbegangenen aufhören.
D: Jeder verläuft gesondert.
S: Oft scheint es, als gleiche einer dem anderen.
D: Doch es scheint nur so. Holzmacher
S: und Waldhüter
D: kennen die Wege.
S: Sie wissen, was es heißt, auf dem Holzweg zu sein.
D: Anmerkung: Der Mond auch.
S: Zwei Holzspindeln ins Mondholz rennen.
D: Zwei Vögel, die den Sinn nicht kennen.
S: Ich will mich deinem Holzschwert zeigen
D: in der Mitte von oben und unten.
S: Ich bin nicht so hölzern, wie du denkst.
D: Mir ist der Erdgeschmack längst vergangen.
S: Ich weiß, du darfst nicht niedersteigen.
D: 7. bis 10. Zeile: Kindschaft.
S: Wir keimen
D: beim Reimen.
S: Wir sterben an uns selber,
D: der Mond wird immer gelber.
S: Auf meinen nackten Zehen glänzt oft der Fußpilz,
D: pedum fungus,
S: gelb wie Stroh.
D: Sollen dir nur die Finger- und Zehennägel herunterfallen.
S: Ekelhafter!
D: Widawarti!
S: Dass wir unsere Spindeln auf den Mond geschossen haben, bringt uns der Lösung nicht näher.
D: Ich will ein andres Handwerk lernen.
S: Besser Doppelpunkt Mundwerk,
D: Mundhandwerk.
S: Ich lerne das A,
D: ich das O.
S: 11. Zeile: O Spindel,
D: gib dein Geheimnis her.
S: Soviel Garn spinnt nur ein Bereuer.
D: Wir sollten ganz Spindel sein.
S: Ein Spindelpaar.
D: Unser Doppelgeheimnis.
S: A Eins.
D: O Zwei.
S: Eine wildfremde Zahl.
D: Eins + Eins = Zweifel.
S: Zwei Lichter machen Zwielicht.
D: Zwei wirre Faden einen lichten Zwirrenfaden.
S: Wenn dir der lichte Faden unschön und unpraktisch vorkommt, so brauchst du ihn nur irgendwo mit der Schere abschneiden und dann vorsichtig herausziehen.
D: Oft gleite ich als Schlange still aus dir fort.
S: Dann such halt die nächste Leibhaftigkeit heim.
D: Ich hab es im Stand.
S: Dass dein Stand bis zum Mond sich erhöhe.
D: Und dein Leib rückt jetzt sehr mutig der Erde zu Leib!
S: Also bilden wir eine Räuberleiter von der Erde bis zum Mond.
D: Wir räubern eine Leiter und fensterln den Mond.
S: Ein Stern klebt noch am Fensterrahmen,
D: daran wir uns reiben, um alles loszuwerden,
S: die ganze Last der Lenden.
D: 12. Zeile: Ich schreie dich an.
S: Ruf an!
D: Hol heim!
S: Wir nisten uns in Trommelfellen.
D: Ein Brunnen knirscht,
S: eine junge Magd lacht.
D: Erklärung: Alle Brunnenmacher haben Bärte und Leitern,
S: und vielleicht auch Lampen, wenn sie zu tief ins Glas schauen.
D: Komm her und schrei in den Brunnen.
S: Alles bleibt dort unten unter sich.
D: Was im Lachen sich ankündigt, geht im Schrei zu Ende.
S: In meinem Brustkorb zittert angeglänzt der Samenballen vom verjährten Traum.
D: In deinem Brustkorb möchte ich den Gasgeruch für eine Nacht sammeln.
S: Der Mond hat sich selbst auf den Rost gelegt
D: und uns dazu.
S: Ferne
D: Sterne
S: im Osten
D: rosten.
S: Steile
D: Keile
S: im Grünen
D: sühnen.
S: Frage: Grüner Mond?
D: In dieser Frage unbedingt Onkelchen Scrinzzi konsultieren.
S: Wir gehen zum Grün aller Gründe.
D: Feigenwurz zersprengt die Quelle.
S: Feige Wurz!
D: Ich brauch Metzgewürz und Zimt, Gerste und auch Hopfen,
S: Daraus sprießt ein junger Schössling,
D: Steigt die üppig grüne Gerte.
S: Schößling oder Schössling? Beides richtig.
D: Der Schoß der schießt,
S: und der stille Wille wilder Bilder,
D: des magren Mondes scharfe Larfe,
S: zieht seine Spur in eine kühne Bilderschrift hinein.
D: Naht auf Draht.
S: Vergiss nie, dass du wieder malen solltest.
D: Die letzten Zeilen: sie umkreisen die Frucht,
S: die hündischen Stunden,
D: locken den Tod in den Docht
S: und mich in das Mutterleibzwielicht.
D: Dem Segen entgegen
S: – ich würg es hinab –,
D: umkreis ich voll Habsucht deinen blühenden Stab.
S: In deine Herzmulde kugelt Frucht vom Sternapfelbaum.
D: Soviel unerlaubter Mond,
S: und das schon seit Monden,
D: schoßverstockt und schießsüchtig.
S: Soviel unerlaubter Tod
D: durch das neue Mondchen schreit.
S: Wir spielen nun schon übers fünfte Jahr immer wieder Himmel und Hölle.
D: Wir spinnen ’nen Faden aus Hungergras
S: und Venushaar,
D: immer denselben Kas.
S: Ich begreife, dass gerade dir Vulgäres besonders auf die Nerven geht.
D: O du bodenloser Engel!
S: Hodenloser Stengel!
D: Mein Flachsacker blüht noch auf Erden!
S: Flach-Sacker!
D: Mein Flachsacker geht dich nichts an und du findest ihn nie!
S: Flach-Sacker statt Flachs-Acker.
D: Klammer auf: lustiges Wortspiel.
S: Was ist das für ein Ding, das so lustig herumspringt?
D: Endlich ist der Knüppel aus dem Sack!
S: Im Unterleib-Zwielicht.
D: Brunnenschwengel!
S: Wiegender Sumpf!
D: Mondgeweih!
S: Wir schaukeln in der Spinnenwebe.
D: Fliegenbalg!
S: Spinnenschächer, du drehst viel zu locker.
D: Armer Grashüpfer in der Turbine!
S: Ränkespinner, du haspelst viel zu schnell.
D: Wir spinnen eine Masche für das Laufen.
S: Laufmasche!
D: Für uns ist es schon höchste Zeit.
S: Komm mich endlich schneiden!
D: Teil mich endlich aus.
S: In dir ist Messer und Mond vereinigt, senkt sich herab in Form einer Taube.
D: Mond und Taube morden
S: im Auftrag deines geheiligten Namens Amen,
D: Namen-Samen,
S: passend: in deines Bindestrich-Samens Auftrag.
D: Er funkelt in der Vollmondscheibe.
S: Dort will ich hin.
D: Alles andere ist 100% Ettendorf!
S: Auf Wiedersehen irgendwann!
D: Herzliche Grüße an alle Bekannten,
S: die allerherzlichsten aber für uns beide.